Einführung

Die bekanntesten Texte unter den Schriftrollen vom Toten Meer sind antike religiöse Schriften, die in den elf Höhlen bei Qumran gefunden wurden. Entdeckungen an anderen Fundorten erbrachten zumeist Dokumente und Briefe, insbesondere Papyri, die von Kriegsflüchtlingen in den Höhlen versteckt wurden. Während einige dieser Schriften beinahe unversehrt erhalten sind, besteht der größte Teil des Archives aus Tausenden von Pergament- und Papyrusfragmenten.

Schriftrollen aus den Qumran-Höhlen

Die Rollen aus den Qumran-Höhlen enthalten bedeutende religiöse Schriften. Diese gehören zu zwei Typen: „biblische“ Handschriften – das sind Bücher, die auch in der hebräischen Bibel enthalten sind – und „nicht-biblische“ Handschriften, d.h. andere religiöse Werke, die zur Zeit des Zweiten Tempels in Umlauf waren. Diese Handschriften weisen oft Bezüge zu den in der hebräischen Bibel enthaltenen Texten auf. In diese zweite Kategorie fallen einige Schriften von „sektiererischer“ Natur, die sich anscheinend auf Glaubensinhalte und religiöse Praktiken spezieller religiöser Gruppierungen beziehen.

Der Eingang zu Höhle 11
Foto mit freundlicher Genehmigung von:
Alexander Schick

Die Datierung der Schriftrollen erstreckt sich vom 3. Jahrhundert v.d.Z (Mitte der Zeit des Zweiten Tempels) bis ins erste Jahrhundert n.d.Z., genauer bis kurz vor die Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70. Die Mehrzahl der Schriftrollen ist in hebräischer Sprache verfasst., Ca. 15%finden sich in aramäischer, einige auch in griechischer Sprache. Das Material, aus dem die Schriftrollen bestehen, ist hauptsächlich Pergament; in einigen Fällen auch Papyrus. In einem Fall ist der Text einer Schriftrolle auf Kupfer eingraviert.

Biblische Handschriften

Etwa 230 Handschriften zählen zu den „biblischen“ Schriftrollen. Dabei handelt es sich um Kopien von Werken, die auch in der hebräischen Bibel enthalten sind. Sie besaßen bereits zur Zeit des Zweiten Tempels einen besonderen Status, da sie als Übermittlung göttlicher Botschaften galten. Es gibt Belege dafür, dass die Religionsgemeinschaften in Judäa zur Zeit der Entstehung der Schriftrollen noch keine einheitliche Auffassung von einer autoritativen Sammlung biblischer Werke hatten. Die Idee eines geschlossenen biblischen „Kanons“ kommt erst später in der Geschichte dieser sakralen Schriften auf.

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11Q5 Psalms a - Psalmen – man beachte die Ergänzungen des Schreibers im Text

Unter den Schriftrollen befinden sich Teile oder vollständige Kopien von allen Büchern der hebräischen Bibel (mit Ausnahme des Buches Ester). Ca. ein Dutzend Kopien von einigen dieser heiligen Bücher sind in althebräischer Schrift geschrieben (diese Schrift stammt aus der Zeit des Ersten Tempels, entspricht also nicht der Standardschrift zur Zeit der Abfassung).

Viele biblische Handschriften stehen dem masoretischen Text sehr nahe, bei dem es sich um den bis heute anerkannten Text der hebräischen Bibel aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n.d.Z., handelt. Diese Ähnlichkeit ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Schriftrollen von Qumran über tausend Jahre älter sind als die bis dahin datierten biblischen Handschriften.

Auffällig ist auch, dass einige biblische Handschriften Unterschiede zu der üblichen masoretischen Sprache und Rechtschreibung der Bibel aufweisen. Zusätze und Auslassungen in bestimmten Texten lassen darauf schließen, dass die Schreiber sich frei fühlten, in dem Text, den sie kopierten, Eingriffe vorzunehmen.

Nicht-biblische Handschriften

In den Schriftrollen aus den Qumran-Höhlen hat sich eine große Bandbreite von jüdischen religiösen Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels erhalten. Es finden sich darunter parabiblische und exegetische Werke, Hymnen und Gebete, Weisheitstexte, apokalyptische Texte, kalendarische Texte u.v.m. Einige der unter den Schriftrollen vom Toten Meer entdeckten Werke waren bereits vorher bekannt, da sie in Übersetzungen seit der Zeit des Zweiten Tempels erhalten geblieben sind. Man bezeichnet sie als „Pseudepigraphen“. Dazu gehört z.B. das Jubiläenbuch, von dem nur eine griechische und eine äthiopischen Version bekannt waren, bevor es auf Hebräisch in den Qumran-Höhlen entdeckt wurde,. Viele andere nicht-biblische Werke waren dagegen vorher unbekannt.

Der wichtigste gemeinsame Faktor der Schriftwerke, die in den Qumran-Höhlen gefunden wurden, ist die zentrale Stellung des Glaubens.

Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass, während einige dieser Texte von einem Großteil der jüdischen Bevölkerung anerkannt waren, andere Werke nur die Glaubensinhalte einzelner Gruppierungen widerspiegeln. In Bezug auf viele andere Aspekte dieser Texte bestehen jedoch Meinungsverschiedenheiten: So lässt sich z.B. nicht eindeutig feststellen, welche Gemeinschaften durch die Schriftrollen vertreten sind und in welchem Verhältnis diese Gemeinschaften zueinander standen.

Viele der „sektiererischen“ Schriftrollen aus den Qumran-Höhlen legen Wert auf die seelische Reinheit und die rituelle Reinigung durch Untertauchen in einem Ritualbad oder einer „Mikwe“, wie der hier dargestellten (Chirbet Qumran)
Foto:
Tsila Sagiv

Sektenhandschriften

Ein Viertel dieser nicht-biblischen Handschriften, deren Inhalte anscheinend das Leben und die Philosophie einer bestimmten Gemeinschaft widerspiegeln, werden als „sektiererisch“ bezeichnet. Diese Grundtexte umfassen eschatologische Bibelkommentare, apokalyptische und liturgische Werke sowie Regelwerke, die das Gemeinschaftsleben regeln sollten. In der Anfangsphase der Schriftrollenforschung führten die Wissenschaftler alle der Qumran-Handschriften auf die Gemeinde der Essener zurück, eine der drei jüdischen Hauptsekten, die in den antiken Quellen beschrieben werden. Und obwohl diese Annahme in den letzten Jahren in Frage gestellt und modifiziert wurde, halten viele Forscher noch immer an einer Verbindung zwischen den Essenern und den Schriftrollen vom Toten Meer fest.

Schriftrollen aus anderen Fundorten

Die Schriftrollen vom Toten Meer, die nicht in den Qumran-Höhlen entdeckt wurden, erstrecken sich von der Zeit des Ersten Tempels (8. Jahrhundert v.d.Z) bis ins 11. Jahrhundert n.d.Z. Die Funde beinhalten die samaritanischen, aramäischen Wadi-ed-Daliyeh-Papyri aus dem 4. Jahrhundert v.d.Z. sowie die arabischen Handschriften aus Chirbet Mird (7.-8. Jahrhundert n.d.Z.). Bei dem Großteil der Handschriften handelt es sich um jüdische Texte, die in der Römerzeit verfasst wurden. Von ihnenwerden die Funde aus Masada und die hebräischen, aramäischen, nabatäischen und griechischen Dokumente aus der Zeit des Bar Kochba-Aufstandes von Wissenschaftlern als besonders wertvoll erachtet.

Silberne Tetradrachme aus der Te’omim-Höhle, 134-135 n.d.Z. Avers: Fassade des Jerusalemer Tempels. Inschrift: “Schim‘on” Revers: Der Lulav-Strauß und Etrog, Inschrift: „Für die Freiheit Jerusalems”"
Foto:
Clara Amit

Die Bar Kochba Fluchthöhlen

In den „Bar Kochba Fluchthöhlen” wurden zahlreiche Dokumente gefunden, darunter kaufmännische, militärische, rechtliche, administrative und persönliche Aufzeichnungen . Darüber hinaus wurden auch einige religiöse Texte entdeckt, unter denen sich auch biblische Schriften fanden. Die Schriften stammen wohl von Flüchtlingen, die vor dem Tumult des Bar Kochba-Aufstandes (132-135 n.d.Z.) Zuflucht in der Höhle suchten und die Dokumente dorthin mitbrachten. Sie enthalten Hinweise auf wirtschaftliche und persönliche Entbehrungen, Pfeilspitzen aus Nachal Chever, Römerzeit
Foto: Miki Koren
welche die Flüchtlinge ertragen mussten. Unter den Texten aus den Höhlen finden sich Briefe, die an den Anführer des Bar Kochba-Aufstands gerichtet sind oder von ihm stammen.

Pfeilspitzen aus Nachal Chever, Römerzeit
Foto: Miki Koren

Da viele dieser Dokumente datiert sind, haben sie eine große Bedeutung für die Archäologie der Römerzeit und der Talmudischen Epoche. Die biblischen Schriftrollen aus den Fluchthöhlen sind wiederum für die Textkritik von erheblicher Bedeutung, weil sich in ihnen ein Text erhalten hat, der mit dem masoretischen Text (der hebräischen Bibel) übereinstimmt., Dies könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass der biblische Text bereits im 2. Jahrhundert n.d.Z. feststand. Die religiösen Texte, die hier entdeckt wurden, umfassen Tefillin, eine Mesusa, ein literarisches Fragment, das auf ein Gebet für Zion verweist, und eine gut erhaltene Zwölfprophetenrolle auf Griechisch.